Eine Geschichte
Die Weisheit des Hakim
Ein Sultan war mit einem seiner besten Diener auf einem Schiff. Der Diener, der noch nie eine Seereise gemacht, mehr noch, der als Sohn der Berge noch nie die Wüste des Meeres erblickt hatte, saß im holen Bauch des Schiffes und schrie, jammerte, zitterte und weinte. Alle waren gütig zu ihm und versuchten, seine Angst zu besänftigen. Doch die Güte erreichte nur sein Ohr, nicht aber seine angstgepeinigtes Herz. Der Herrscher konnte das Geschrei seines Dieners kaum mehr hören, und die Seefahrt über das blaue Meer unter blauem Himmel machte ihm keine Freude mehr. Da trat der weise Hakim, sein Leibarzt, an ihn heran. „Königliche Hoheit, wenn Ihr es gestattet, kann ich ihn beruhigen." Ohne zu zögern gab der Sultan die Erlaubnis. Der Hakim befahl nun den Seeleuten, den Diener ins Meer zu werfen, was diese mit dem Schreihals nur zu gern taten. Der Diener strampelte, schnappte nach Luft, klammerte sich an der Bordwand fest und flehte darum, wieder im Schiff aufgenommen zu werden. An der Haaren zog man ihn herein. Von nun an saß er ganz ruhig in einer Ecke. Kein Wort der Angst war aus seinem Munde zu vernehmen. Der Sultan wunderte sich und fragte den Hakim: „ Welche Weisheit steckte in dieser Haltung?" Der Hakim antwortete: „Er hat noch nie das Salz des Meeres gekostet. Er wußte auch nicht, wie groß die Gefahr ist, die ihm in dem Wasser begegnet. Daher konnte er auch nicht wissen, wie kostbar es ist, die festen Planken eine Schiffes unter sich zu haben. Den Wert der Ruhe und Gelassenheit kennt erst der, der einmal der Gefahr uns Auge geblickt hat. Du, der du satt bist, weißt nicht, wie das einfach Brot des Landes schmeckt. Das Mädchen, das du nicht schön findest, ist meine Geliebte. Es besteht ein Unterschied zwischen dem, der seine Geliebte bei sich hat, und dem, der wartend ihr Kommen ersehnt."
Die Realität ist nicht einfach so, wie sie dir erscheint. Wie wir Dinge, Menschen und Situationen wahrnehmen hängt wesentlich von der Perspektive ab, die wir einnehmen. Aus der Perspektive des Sohnes sehe ich meine Mutter völlig anders als ein Außenstehender. Aus der Perspektive eines kleinen Kindes sehen die Dinge anders aus als aus der Sicht eines Erwachsenen. Es macht einen wesentlichen emotionalen Unterschied, ob ich am Rand des Schwimmbads oder oben auf dem Sprungturm stehe. Allein die räumliche Beziehung verändert die eigene Sichtweise der Dinge. Um nicht zu eingeengt zu sein, sollten wir immer verschiedene Perspektiven einnehmen.
Um es noch mal zu wiederholen: wir Menschen neigen zu Gewohnheit und Bequemlichkeit. Am liebsten wiederholen wir das Gewohnte und nehmen damit immer dieselbe Perspektive ein. In unseren Seminaren beobachten wir immer wieder, dass die meisten Menschen ein- und denselben Platz, den sie zu Beginn wählten bis zum Ende des Seminars beibehalten. So haben wir uns angewöhnt, sie aufzufordern, öfter den Platz und damit die Perspektive zu wechseln, um die Dinge - im wahrsten Sinne des Wortes - in einem anderen Licht zu sehen.
Intention:
Bewusst Perspektiven im Alltag wechseln und die Veränderungen in der Wahrnehmung der Realität erkennen.
Übung:
Entscheide dich in dieser Woche möglichst oft ungewohnte Perspektiven einzunehmen. Damit sind erst einmal ganz praktische Dinge gemeint:
- Setze dich auf einen anderen Platz als sonst am Esstisch, Sofa, im Büro, im Zug etc.
- Betrachte Dinge und Menschen von unterschiedlichen Seiten.
- Wenn du normalerweise fährst, lass deinen Partner / Kollegen fahren und umgekehrt.
- Wähle auch im übertragenen Sinn andere Sichtweisen: die Perspektive deines Chefs, deines Partners etc.
- Wähle im Kino, Theater etc. einen ungewohnten Platz.
- Führe Gespräche, wenn einer sitzt und der andere steht
- Wähle beim Liebesspiel ungewöhnliche Stellungen (Sag deinem Partner einfach, das gehört zum Kurs.)
Hilfsmittel: Schreibe dir als Hilfe das Wort „Perspektivwechsel" auf einen Zettel, den du an eine markante Stelle hängst.
Mantra:
Dinge verändern sich allein dadurch, dass ich sie anders betrachte.